Im Feuer zusammengeschweißt.

Von G. R.
in: „Dorf-Chronik und Grafschafter” vom 22., 26., 29.10.1897


Vor der Hofthür seines stattlichen Anwesens stand breitspurig Andreas Althöffer mit der silberbeschlagenen Meerschaumpfeife im Munde; die rechte Hand hatte er in die Hosentasche versenkt und klimperte protzig mit harten Thalerstücken, sodaß man's zwanzig Schritt weit hören konnte. Aeußerlich war er so recht das Urbild eines „schweren” Altenburger Bauern, hager, groß und starkknochig, mit Jacke und Pluderhose vom feinsten Tuch, sowie glänzend gewichsten hohen Stiefeln angethan. Die dunklen, etwas durchgrauten Haare waren noch ungelichtet, und aus dem glattrasierten, hartkantigen Gesicht blickten die Augen scheinbar gleichgiltig, aber in Wahrheit allzeit scharf spähend umher. Diesem Blicke entging kein Strohhalm am unrechten Platz, und wer's auf dem Althöfferschen Hofe aushalten wollte, mußte von Haus aus an gehörige Ordnung und Pünktlichkeit gewöhnt sein. Lässiges Gesinde flog schon nach wenigen Tagen wieder auf die Landstraße, wenn die Betreffenden sich nicht vorher selber unsichtbar machten, um den unausbleiblichen, fürchterlichen Grobheiten zu entgehen, die in der Landschaft beinahe sprichwörtlich waren. Da Andreas nebenbei über eine ungeheure Körperkraft verfügte, wagten selbst die trotzigsten Burschen nicht an„Aufmucken” zu denken.

Nur einem Menschen gegenüber verleugnete er die ganze rauhe Ursprünglichkeit seines Wesens, und dieser einzige Mensch war sein einziger Sohn. Gerade dieser aber hätte eine tüchtige Portion väterlicher Zucht recht wohl gebrauchen können, denn vom erbsässigen, biderben Bauern schien ihm bitterwenig im Blute zu stecken. Der hübsche, schlanke Junge hatte trotz seiner zwanzig Jahre schon bedeutende Kenntnisse im Geldskat, dem landesüblichsten Bauernlaster, ging gern den Mädchen nach und war nicht allein ein leidenschaftlicher Jäger, sondern man behauptete auch, daß er mit Vorliebe andere Reviere als das der Gemeindejagd mit Pürsch und Anstand heimsuchte. Um die Wirtschaft bekümmerte er sich so gut wie gar nicht, kaum daß er mal ab und zu die Nase in einen Stall steckte, um aus langer Weile Pferde und Rindvieh einer flüchtigen Betrachtung zu unterwerfen.

Vater Andreas wagte wohl manchmal einen sanften Tadel unter dem wohlwollenden Hinweis, daß doch eigentlich die Sache ihn etwas anginge, weil das Gut dereinst sein alleiniges Eigentum sei, aber Leonhard, der Herr Sohn, schnitt dazu zwar ein reumütiges Gesicht, ließ aber die Dinge im übrigen beim Alten. Er wußte ganz genau, wenn er äußerlich seinen Respekt gegen den Vater nicht verletzte, konnte er treiben, was er wollte, dieweil auf ihn, als das letzte von fünf Kindern, der ganze Schatz väterlicher Zärtlichkeit überkommen war. Heute befand sich Althöffer senior indeß ausnahmsweise in etwas gereizter Stimmung gegen seinen Stammhalter. Nicht genug, daß dieser vorgestern über hundert Thaler im Fünfgroschenskat verloren hatte, heute Morgen kam er hinkend und übelverdroschen mit blauunterlaufenen Augen aus einem Nachbardorfe von einem zarten Stelldichein zurück, welches einige Nebenbuhler vermittelst zolldicker Knüppel unterbrachen. Dabei war's nicht einmal eines reichen Bauern Kind, um welches die Schlacht geliefert wurde, sonder die allerdings recht hübsche Tocher des Kuhhirten. Der Zornerguß des Alten war zwar nicht allzuheftig und gipfelte in der schweren Drohung: „Na warte, Bengel, nächstes Jahr werden sie dir bei den Sechsundneunzigern schon die Flötentöne beibringen!”

Den stolzen Bauern wurmte die Geschichte aber mehr, als er sich vor der Welt merken ließ, und sein Thalerklimpern war mehr gewohnheitsmäßig und entsprang nicht dem Hochgefühl dieser Stunde. Jetzt nahm er plötzlich die Pfeife aus dem Munde und zog die rechte Hand aus der Tasche, um sie als Sonnenschutz über die Augen zu legen. Am Ende der langen, oft durch Zwischenräume unterbrochenen Dorfstraße zeigte sich eine Männergestalt, die auffallend an ihn, Andreas Althöffer selbst, erinnerte, nur war die saubere Kleidung sehr viel unscheinbarer und ärmlicher.

Ohne Eile kam der Mann näher und blieb vor dem Bauern stehen, welcher sich nicht vom Fleck gerührt hatte und nur blaue Wölkchen vor sich hin paffte.

„Guten Tag, Bruder Andreas!”

Andreas wendete sich kaum zu dem Ankömmling herum und brummte widerwillig: „N' Tag!”

„Ich habe mit dir zu sprechen,” fuhr der andere fort, „willst du's draußen oder drinnen hören?”

„Was wir miteinander zu reden haben, kann hier geschehen!”

„Gut! Um's kurz zu machen. Hermann ist von den vierten Jägern zurück und als herzoglicher Forstlaufer in Prilip angestellt!”

„Da ist er gerade was Rechts.” lachte Andreas kurz auf,„was geht's mich an?”

„Dich weniger, als deinen Sohn!”

„Was willst du damit sagen, Jörg?” fuhr der Bauer auf.

„Nicht mehr, als wie alle Spatzen pfeifen! Der Leonhard geht wildern und hat sich bloß noch nicht erwischen lassen; — erkannt wurde er aber in voriger Woche vom Hermann. Weil der Leonhard kein Aasjäger ist und nicht wegen dem Gewinn, sondern wegen der Schußpassion nebenher läuft, hat der Oberförster für diesmal ein Auge zugedrückt, zumal kein Schuß gefallen sei und die Möglichkeit nicht ausgeschlossen wäre, daß der Leonhard aus Versehen auf herzogliches Revier übertrat, zumal die Grenzverhältnisse dort ziemlich verzwickt sind. Der Herr Oberförster läßt dem Leonhard hiermit eine schriftliche Verwarnung zukommen,” hier zog Georg Althöffer einen Brief aus der Brusttasche und reichte ihn seinem Bruder, „die ich überbringen mußte, damit die Sache in Rücksicht auf dich, den geachteten Großbauern, den Leuten gegenüber nicht gar zu amtlich aussieht. Bitte um Bescheinigung!”

„Komm'rein!” sagte Andreas kurz und schritt voran ins Haus.

Das Verhältnis zwischen den beiden Brüdern war nichts weniger als liebevoll. Georg, der Jüngere, war dereinst als Nachgeborner mit geringem, nur beweglichem Erbe, abgefunden worden, und statt in eine andere reiche Bauernfamilie hineinzuheiraten, was ihm durchaus nicht schwer geworden wäre, folgte er dem übermächtigen Zuge seines Herzens und nahm die bildschöne, aber blutarme Försterswaise Marianne Ricker zur Frau. Das hatte ihm vor allem seine nun längst verstorbene Schwägerin sehr verdacht und dem Bruder dieserhalb nicht zum Guten geredet. Es prasselte damals ein fürchterliches Ungewitter im Bauernhofe los, und Georg verließ seine Großknechtsstelle Knall und Fall, um sich als Holzhauer in den herzoglichen Forsten anstellen zu lassen. Kaum, daß seit dieser Zeit die Brüder sich zufällig einmal im Jahre begegneten, sie gingen sich aus dem Wege, wo sie konnten. Sie wurden sich so fremd, daß nur ihre außerordentliche Familienähnlichkeit das gegenseitige Nichtmehrerkennen ausschloß.

Heute durfte Georg Althöffer seinem Oberförster und alten Gönner den scheinbar kleinen Dienst, der noch obendrein dem guten Namen Althöffer galt, nicht ausschlagen, aber blutsauer war ihm der Gang doch geworden. Wäre der schwere Aerger über den leichtsinnigen Sohn wegen der Spielschulden und Hirtentochter nicht fast gleichzeitig gekommen, so hätte es jetzt vielleicht einen Tanz gesetzt. So aber fertigte Andreas ohne weiteres die Empfangsquittung aus, und die zerfallenen Blutsgenossen schieden nach kurzem Gruß ohne Handschlag wieder von einander, vielleicht auf Jahre.

Unterdessen kühlte Freund Leonhard auf seiner Kammer die Schrammen und Beulen der vergangenen Nacht und behandelte sich nachher eingehend mit Hirschtalg. Leise pfiff er bei dieser ersprießlichen Thätigkeit vor sich hin, ohne besondere Herzensschmerzen zu verspüren. Die Störung der Schäkerei mit dem niedlichen Dinge, der Grete, hatte ihn zwar einigermaßen belästigt, zugleich aber auf frischer That derartig erbost, daß er alle Hiebe und Püffe mit Zinsen heimzahlte. Namentlich zwei seiner Gegner deckte er gründlich mit einem schleunigst erbeuteten Knüppel zu; sie lagen noch auf dem Platze, als er unverfolgt den Rückzug antrat. Ueber etwaige gerichtliche Nachwehen blieb er unbesorgt. Erstens war er überfallen worden und wehrte sich nur grimmig seiner Haut, und zweitens wußte er aus mehrfacher Erfahrung, was so ein richtiger Altenburger Bauernschädel vertragen kann; der ist kaum mit dem Dreschflegel kleinzukriegen. Ein paar Stunden sind die Leutchen „dösig”, nachher ist alles wieder in alter Ordnung.

Da trat der Vater des Burschen mit dem oberförsterlichen Handschreiben in die Kammer. Das Gesicht des Bauern sah düster und unheildrohend aus, und dem Herrn Sohn begann diesmal doch das Herz schneller zu pochen, hauptsächtlich weil er gegen Schriftstücke eine grundsätzliche Abneigung hegte.

„Horch auf, miserabler Strick,” begann der Alte barsch,„mit deinen verschwollenen Fenstern wirst du kaum gucken können!”

Vom Hofe hörte man das heftige Poltern eines Wagens, Andreas horchte wohl auf, aber entfaltete den Brief und verlas die Warnung, jedes Wort scharf betonend. Schuldbewußt und ohne Widerrede senkte Leonhard das Haupt.

„Bist du an dem Tage mit Absicht nebenbei gegangen?” fragte der Bauer.

„Ja, Vater, ich hab' auch den Hermann erkannt und lief deswegen auf und davon. Mit dem Bruderssohn mochte ich nicht zusammengeraten — 's wär doch häßlich gewesen!”

„Na, du lügst wenigstens nicht, Schlingel, das bleibt schließlich das einzig Gute an dir!”

„Nie!” erwiderte der Bursche und richtete sich stolz auf.

Mit geheimem Wohlgefallen betrachtete Althöffer seinen kernigen Sprößling und hatte ihm in diesem Augenblicke wieder alle tollen Streiche verziehen — das alte Lied! — so ging's schon hundertmal. Doch hier schien plötzlich dem Bauern etwas einzufallen, und er fragte unvermittelt:„Woher kennst du den Hermann so genau, daß du ihn sogleich weg hattest? Er war doch vier Jahre in Sangerhausen?”

„Das war kein Kunststück! Denk' dich in deinen jungen Jahren mit einem Schnurrbart, da hast du den Hermann, wie er leibt und lebt!”

„So, er ist in die Art geschlagen?”

„Ganz und gar, Vater — grad' umgekehrt wie die Meta, die sieht wie ihre Mutter aus!”

„Ohoo—o,” meinte Althöffer gedehnt, „woher weißt du denn das?”

„Ich war letzt auf dem Erntefest in Bärendorf — hab' sogar mit ihr getanzt!”

„Und das erfahre ich erst jetzt?” grollte der Alte.

„Wußte nicht, Vater, ob du's gern hörtest, wenn ich's erzählte. Sie ist auch schon versprochen mit dem Bärendorfer Franz Sorbig, sie heiraten im Frühjahr. Der Franz sitzt in der Wolle als sein eigener Herr und braucht nicht ums Geld zu freien!”

„Hm, schau, ich weiß, es ist ein guter, altgesessener Bauer!”

„Ja, Vater, mich freut's, denn die Meta ist ein nettes, hübsches Mädel und trug mir Eure Feindschaft nicht nach!”

„Desto mehr wohl der Hermann?”

„Weil er mich angezeigt hat? Das macht' ich grade so, wenn ich in herzoglichem Eid und Amt wäre, und wenn ich dich selbst erwischte, Vater!”

„Sapperment!” Das Antlitz des Bauern überflog ein Schimmer, der beinahe wie ein Lächeln aussah. „du als Förster, das müßte ein Hauptspaß sei. Aber, Hand her, Junge, du gehst nicht mehr nebenbei, mir zu Lieb?”

„Ein Mann, ein Wort!” rief Leonhard und umschloß des Vaters Hand mit fräftigem Druck.

Jetzt freute sich der Alte wirklich. „Daß dir's nicht gar zu sauer wird, du Landstreicher — dafür pacht' ich die Ebergrüner Jagd, koste es, was es wolle, die Leipziger können wir noch überbieten — wir haben's ja dazu. Bist zufrieden?”

„Und ob,” lachte der Bursch,„bist doch mein gutes Väterchen, viel zu gut gegen mich Erzlump!”

„Brav, daß du's einsiehst!”

Damit war Althöffer senior zur Thür hinaus und überließ seinen Sohn den weitern Hirschtalgstudien, denn er fürchtete, weicher zu werden, als es dem Respekt zuträglich schien. Daß der Junge endlich das Wildern ließ, war ein Riesenerfolg, auf den er kaum gehofft hatte; aber der Leonhard hielt Wort, dafür kannte er ihn zu genau. Jetzt hieß es nur noch, mit hohem Spiel und den Weibergeschichten fertig werden, die zwar an und für sich fast noch schlimmer, aber voraussichtlich nicht so schnell zum Verderben führten, als das gottvergessene, tollverwegene Wildern.

Unter diesen Gedanken trat der Bauer auf den Hof, und gewahrte auf den ersten Rundblick eine große Unordnung. Zwischen der Thür des Pferdestalles und dem berghohen Düngerhaufen lag ein Ortscheit mit abgerissenen Strängen nachlässig hingeworfen an der Erde. Mit drei langen Schritten war Andreas im Stalle und schaute sich um. Im letzten Stand zur Rechten schüttete ein Knecht Futter ein, neben der Haferkiste lag ein anderer, anscheinend im tiefen Schlaf auf einer Schütte Stroh.

„Wer hat das Ortscheit draußen hingeschmissen?” donnerte der Hofherr.

Der Mann im letzten Stand fuhr erschrocken herum, während der Schläfer sich nicht rührte.

„Antwort!” schrie Althöffer.

„Hier der Fabian,” erwiderte kleinlaut der Knecht, „er ist betrunken vom Mergelfahren zurückgekommen, hat wohl Gesellschaft gefunden. Habe erst die Pferde versorgt, waren naß wie die Katzen und die linken Stränge zerrissen. Konnte noch nicht alles aufräumen, ist eben erst passiert!”

„So!” Der Bauer trat heran und untersuchte sorgfältig die beiden Tiere. Er fand sie unverletzt und bereits gut abgerieben. Sie schnaubten zwar noch wie nach kurz überstandener Aufregung, steckten jedoch schon die Nasen in die Krippen.

Althöffer drückte dem Knechte einen blanken Thaler in die Hand. „Da, Gottlieb, hast Extraarbeit gehabt, — übernimm die beiden Braunen, bis ein Neuer da ist!”

Er drehte sich um, packte den Schläfer beim Kragen und schleifte ihn ohne Umstände in die nebenliegende Kammer, wo er ihn mit einem Ruck aufs Bett schleuderte. Der halb ermunterte Bursche verdrehte die Augen und schien sich ermuntern zu wollen, aber nach ein paar Augenblicken schnarchte er weiter; das Feuerwasser war jedenfalls reichlich geflossen.

Am nächsten Morgen erst stieg Fabian mit etwas verschwollenen Augen aus dem Bette und wollte sich zu den Pferden begeben, doch Gottlieb meinte: „Laß nur sein, alte Schnapsunke, mußt heute doch fort!”

„Wieso, Kameel,” schimpfte der leichtsi mige Patron. „wegen so einem bischen Vollsein? Das kann jedem mal unterlaufen zur Abwechklung. Bin schon drei Wochen hier und nur einmal umgekippt. Das will ich doch sehen, wer mich rauswirft!”

„Das erst von wegen dem Kameel,” erwiderte Gottlieb und verabreichte seinem Herrn Kollegen ein paar regelrechte Knallschoten rechts und links. In die augenblicklich entstehende wütende Prügelei platzte der Bauer herein und nahm ohne weitere Fragen Partei für seinen langjährig gedienten Gottlieb, indem er Fabian beim Hosenbund packie und wie ein dreijähriges Knäblein zur Thür hinaus wirbelte.

Im Nu hatte der Bursche das Messer aus der Lederhose gerissen und stach blind um sich, wobei er Althöffer einen tiefen Riß in die Backe schlitzte.

„So, von der Sorte bist du, na dann paß mal auf!” Und kopfüber wie ein Pfeil vom Bozen flog Fabian gegen die eichene Umzäunung der Düngerstätte — ein dumpfer Schlag — und er blieb liegen, ohne ein Glied zu rühren.

„Hm,” brummte der gewaltige Werfer und preßte das Taschentuch auf seine Wunde, „ruf' Fritz und trage den Menschen vorläufig auf sein Bett; fahr' dann zum Doktor, kann ihn auch brauchen!”

Gottlieb drehte das Gesicht des Bewußtlosen herum und kratzte sich hinter den Ohren.„Wenn das gut abgelaufen ist, heiße ich Hannepeter,” brummte er im Weggehen, „der Fabian ist vom Main, die haben dort nicht solche Schädel wie wir, warum zieht der Kerl auch das Messer, geschieht ihm recht!”

Gottlieb hatte nicht falsch gesehen; der Arzt konnte nur den Tod des Messerhelden feststellen. Eine Gerichtskommission nahm sofort den Thatbestand auf, und die nächsten Tage waren recht häßlich. Inanbetracht der sehr einfachen Umstände, die den Bauern unzweifelhaft als in berechtigter Notwehr befindlih erscheinen ließen, sah der Staatsanwalt von Erhebung einer Anklage ab, zumal da Andreas selbst recht erheblich verletzt war und der scharfe Schmerz eine augenblickliche Erregung hervorrufen mußte. Das Recht, durch Auseinanderreißen der Streitenden Frieden auf seinem Hofe zu stiften, mußte ihm ebenfalls zugestanden werden, falls er dabei nicht Leben und Gesundheit des einen oder andern gefährdete, und das letztere traf hier in ursprünglicher Absicht nicht zu. Immerhin blieb die ganze Geschichte äußerst unangenehm, und das alberne Gerede der lieben Nächsten und Nächstinnen machte sie nicht anmutiger. Andreas mied geflissentlich nach seiner Heilung den Abendschoppen im Dorfkruge, weniger etwaiger Redensarten, als der unwillkürlichen Blicke nach der Narbe wegen. Gegen die konnte er sich nicht wehren, dieweil man doch keinem ausgewachsenen Bauern befehlen kann, die Augen wie ein Mädchen niederzuschlagen.

In seinem Gewissen fühlte sich Althöffer vollkommen frei und ließ deshalb dem Toten kein prunkendes Denkmal setzen, wie der's auch wohl kaum verdient hatte, somderm einen einfachen Leichenstein. Er mied die Grabstätte auch nicht, wenn er die Ruhestätte seines Weibes und seiner Kinder besuchte, und so konnte er eines Sonntags nicht übersehen, daß das Wort „gestorben” ausgestrichen und darüber mit dicker roter Farbe geschrieben war: „ermordet”.

Ohne mit der Wimper zu zucken, betrachtete er die grabschäuderische Bosheit und ging ruhig nach Hause. Am andern Morgen fuhr er aber zum Staatsanwalt und trug kurz den Sachverhalt vor. Ohne besondere Mühe wurde durch Umfrage bei den Krämern eine Käuferin roter Farbe ermittelt und durch die Macht der Beweise zum Geständnis gezwungen. Die Anverwandten der ältlichen Jungfrau, welche letztere für einige Zeit Gelegenheit fand, beschaulich über die Annehmlichkeiten der Schriftstellerei im allgemeinen und besondern nachzudenken, schnaubten nach Art aller kleinen Seelen Wut und Rache, und hätten am Großbauer mit Wonne ihr Mütchen gekühlt, wenn's eben nicht der riesenstarke Andreas Althöffer war, dem sein nicht viel schwächerer Herr Sohn drohend zur Seite stand. Denn von einer festlichen Prügelei machte kein richtiger Bauer unnötige Anzeige, aus dieser Wetterecke ist dort wenig zu befürchten. Man kühlt und salbt nach dem Spaß, wie ehedem Freund Leonhard, und verliert kein Wort weiter darüber, an wenigsten gegen die hohe Obrigkeit.

Der junge Althöffer machte es jetzt genau so wie der alte; er blieb abends fein zu Haus und leistete dem Vater Gesellschaft. Sie rauchten beide ihre Meerschaumpfeifen, tranken ein paar Flaschen Bier und spielten Sechsundsechzig mit rührender Ausdauer, die Partie zu einem ganzen Groschen, „damit das Kind einen Namen hätte.” Es waren recht stille Abende, von der Außenwelt erfuhr man so gut wie gar nichts mehr und was das Wurstblättchen an Neuigkeiten brachte, kümmerte den grübelnden Großbauer auch nicht viel.

So stopfte sich eines Frühlingsabends der Alte wieder mal eine frische Pfeife und ergriff nach einem tüchtigen Durstschluck nach saurem Tagewerk die Karten. Er gab, aber Leonhard nahm nicht auf, sondern spitzte die Ohren. Plötzlich sprang er in die Höhe: „Feuer!” und war zur Thür hinaus; der Vater stürzte augenblicklich hinterdrein. Draußen liefen Leute vorüber, aber im Dorfe war nirgend ein heller Schein zu erblicken, wie beide nach kurzem Umblick feststellten.

„Beim Jörg Althöffer brennt's!” schrie ein Bursche in ihrer Nähe, „man sieht's von der Kirche aus!”

„Schau zu, ob's wahr ist!” befahl Andreas seinem Sohn und eilte sofort ins Gehöft zurück, um anspannen zu lassen. Nach kurzer Frist kam Leonhard keuchend wieder angerannt:„'s ist wahr!”

Fünf Minuten später jagte ein Leiterwagen, mit den besten Gäulen bespannt, auf dem Vater, Sohn und zwei Knechte zwischen Aexten und Eimern saßen, nach der Landstraße und von da bald scharf umbiegend eine breite Waldschneuse hinunter. Nach einer halben Meile, die im vollen Galopp zurückgelegt wurde, sahen die Männer einen sprühenden Flammenherd zwischen den Bäumen hervorleuchten. Dreißig Schritt vom brennenden Hause riß der Bauer die schnaubenden Gäule auf die Hanken und sprang ab: „Gottieb, beim Wagen bleiben!” Die Eimer flogen heraus.„Dort steht der Laufbrunnen,” rief Andreas, „macht alle voll — will mich erst mal umsehen!”

Er traf auf etwa ein Dutzend herumstehender Menschen, die augenscheinlich nicht mehr recht wußten, was sie anfangen sollten; auf dem niedrigen Dache eines nahestehenden Stalles krochen ein paar Leute herum und begossen die Ziegeln mit zugereichten Eimern.

„Jörg.” „Marianne!” donnerte Andreas.

„Hier,” antwortete eine schluchzende Frauenstimme unter herumliegendem Hausrat. Mit ein paar Schritten war Althöffer dort und fand seinen Bruder auf einer Matratze sitzend in den Armen seiner Frau und eines jungen Mädchens, der Meta, wie Andreas auf den ersten Blick an der Aehnlichkeit sah. Jörg war beim Bergen von Möbeln durch einen stürzenden Balken getroffen worden und blutete aus einer tüchtigen Kopfwunde.

„Seid Ihr alle da, Kinder?” fragte der Alte und beugte sich zum Verwundeten nieder.

„Ja,” antwortete die Frau und blickte sich um, „Hermann ist noch nicht gekommen, Fritz— Fritz — er war doch eben noch hier!”

„Fritz!” schrie sie plötzlich gellend in Todesangst auf.

„Der Junge ist doch nicht nach seiner Armbrust zurückgelaufen?” jammerte seine Schwester, „er barmte vorhin darüber, daß sie verloren ginge und blieb nur auf Vaters ausdrücklichen Befehl im Freien!

”„Wo hing die Armbrust?” fragte der Bauer kurz.

„Gleich rechts neben der Hausthür im ersten Zimmer!”

Ohne Besinnen stülpte Andreas sich einen vollen Eimer über den Kopf und war im nächsten Augenblick im Hause verschwunden. Leonhard stieß einen lauten Schrei aus, und eilte hinter ihm drein durch die zertrümmerte, schwelende Thür, in der Hand einen vollen Eimer schwingend.

Im dicken Rauche sah er nicht das Getingste und rief mit äußerster Lungenkraft: „Vater, Vater!”

„Leonh ard!” antwortete es mit halb erstickter Stimme, „willst du wohl raus!”

Der junge Bursche begoß sich nun eilig, tastete dem Schall nach und ergriff glücklich den Arm seines Vaters; der Bauer schwankte hin und her und wäre niedergestürzt, hätte ihn sein Sohn nicht mit Riesenkraft um den Leib gepackt und halb tragend herausgerissen; da merkte der erst, daß auch der Alte eine Last auf den Schultern trug. Dicht hinter den Männern stürzte die glühende Zimmerdecke nieder, sodaß beide vom Luftdruck im Freien niederstürzten und, von Funken übersprüht, einige Augenblicke liegen blieben. Jetzt sprangen aber Helfer herzu und trugen sie eilig aus dem Bereiche der sengenden Glut. Etwas betäubt, aber keineswegs ohnmächtig, erholten sich die kräftigen Urmenschen sehr schnell und untersuchten den Zustand des tollkühnen, ungehorsamen Knaben, der um einer hübschen Armbrust willen sein junges Leben gewagt hatte. Als er endlich hustend unter den reichlichen Wassergüssen erwachte, jubelten alle Umstehenden freudig auf, und Andreas fühlte heiße Küsse auf seiner gewaltigen Faust brennen. Halb unwillig, halb beschämt zog er eilig die Hand weg.

„Laß die Narrheiten, Marianne,” sagte er barsch, „so, und nun alle auf meinen Wagen. Ihr kommt zu mir unter Dach und Gottlieb und Franz können einstweilen Eure Sachen bewachen, bis sie abgeholt werden. Vorwärts, Leonhard und Gottlieb, hebt an!”

Der verwundete Bruder wurde auf eine gerettete Matratze gebettet, und bald brachten die flott dem Stalle wieder zutrabenden Braunen die ganze Sippe auf den Bauernhof. Im Abspringen noch rief Andreas, es sollte launig klingen, hörte sich aber so freudig und feierlich an: „Feuer schweißt Eisen zusammen, warum nicht getrennte Verwandte? Seid herzlich willkommen, Ihr alle, auf Althöfferschem Grund — Gott segne Euren Eingang!”

Nach vierzehn Tagen stand Georg völlig genesen wieder auf festen Füßen, mit klarem Kopfe. Eine große Veränderung war währenddessen im alten, stillen Hofe vor sich gegangen. Frau Marianne und ihre Tochter Meta walteten als tüchtige Hausfrauen und stellten anfangs das ganze Anwesen auf den Kopf. aber wie blank, sauber und gemütlich sah das so lange frauenlose Heim alsbald wieder aus, wie froh und behaglich wurden die sonst so einsamen Abende. Andreas war noch nie so lustig und aufgeräumt in seinem ganzen Leben, die Arbeit flog ihm von der Hand, als ob plötzlich eine schwere, lähmende Last von seiner Seele genommen sei.

Von einer Trennung war keine Rede mehr, und nach der Hochzeit von Meta, welche der Großbauer ausrichtete und mit einer prächtigen Ausstattung verherrlichte, war erst recht keine Rede mehr von Auseinandergehen, da Leonhard nunmehr zu den Sechsundneunzigern als Rekrut einrückte. Jetzt dient er schon im zweiten Jahre und ist Gefreiter geworden, Vorgesetzte und Kameraden sind sehr zufrieden mit dem strammen, lustigen Burschen, und wenn es nicht Krieg giebt, kommt er im Herbst ins elterliche Haus zurück. Für den Fall, daß er dereinst sich eine brave Hausfrau anschafft, ist auch schon vorgesorgt. sintemalen Andreas Althöffer neulich zu einer Offenlassung in der Stadt auf dem Gerichte war. Schmunzelnd legte er nach der Rückkehr etwelche Papiere in den Kassenschrank und sagte zu seinem Bruder: „Den Schulzenhof nebenan habe ich gekauft, den müssen wir vom ersten Oktober an mit bewirtschaften. Na, später zieht Ihr vielleicht ganz rüber, bleiben dann gute Nachbarn. He, Alter, heute ist Hermanns Geburtstag, schick mal schleunigst zum Förster um Urlaub, müssen doch ein bischen feiern!”

Vergnügt holte er aus der Ecke ein langes Lederfutteral und zog aus diesem eine prachtvoll gearbeitete Büchsflinte hervor: „Wie gefällt sie dir, Jörg, das soll mein Angebinde sein!”

Bewunderrd schlug der Holzhauer außer Diensten die Hände zusammen und rief:„Ein herrliches Stück — unser gnädigster Herzog brauchte sich dessen nicht zu schämen!”

— Ende. —

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